Alltag im BuZ (Bundes Asyl-Zentrum) Thun
Seit Februar 2016 arbeite ich als Betreuer im temporären Bundes-Asylzentrum auf dem Militärgelände in Thun. Das Zentrum wurde als Provisorische Auffang-Unterkunft für bis zu 600 Asyl-Gesuchsteller (vorwiegend aus Afghanistan, Syrien, Irak, Nord- und Südafrika, Sri Lanka und Ex-Kosovo) im Dezember 2015 eingerichtet und wird von der privaten Unternehmung ORS AG im Auftrag des SEM (Staatssekretariat für Einwanderung und Migration) betrieben.
Für weitere Informationen zum Bundes-Asyl-Zentrum in Thun empfehlen wir folgende Artikel:
Ideen für Aktivitäten gesucht
Als ich anfangs Februar im BuZ Thun angefangen habe, wurde mir sofort klar, dass die ausschliesslich männlichen GS (Asyl-Gesuchsteller) meistens zwischen 18-30 Jahre alt, im BuZ-Alltag – trotz vorhandener Beschäftigungs-Programme – notorisch unterbeschäftigt waren. Diese Unterbeschäftigung führt zwangsläufig zu Langeweile, welche wiederum zu einem erhöhten Agressions- und Eskalations-Potential unter den GS führen kann.
Es gibt verschiedene Angebote, wie sich die GS ihre Zeit vertreiben können , während sie durchschnittlich 45 Tage in unserem BuZ auf einen Transfer (Eintritt auf Ihr Asylgesuch und Verschiebung in ein Kantonales Asyl-Zentrum) warten. Unter Anderem haben sie die Möglichkeit als Belohnung für ihre gute Ämtli-Arbeit im BuZ (Abwasch, Toiletten-Putzen, Essensausgabe etc) im Arbeitsbeschäftigungs-Programm GEP mitzumachen und im Auftrag der Stadt/Gemeinde kleine Hilfsarbeiten wie Mithilfe bei der Stadt-Reinigung, Fluss-Ufer aufräumen, etc. für ein kleines Entgelt von 30 CHF/Tag zu erledigen. Dieses Angebot wird von den meisten GS sehr geschätzt und rege genutzt.
Im Zentrum selber bietet die provisorische Infrastruktur begrenzte Beschäftigungs-Möglichkeiten wie: Sprachkurse, Asphalt-Platz für Fussballspiel, Ping-Pong, Aufenthaltsräume mit Tischfussball, Gesellschafts-Spiele, TV etc.). Zudem, können die GS tagsüber sowie am Wkend bei verschiedenen lokalen Vereinen und Non-Profit Organisationen wie Thun4Refugees, Evang. Krichgemeinden etc. von einem breiten Angebot an Beschäftigungs-Möglichkeiten und der Teilnahme an Events profitieren.
Über dieses Angebot hinaus, haben sich die Betreuer der ORS an mehreren Sitzungen ausgetauscht und ein abwechslungsreiches Wochenend-Beschäftigungsprogramm ausgearbeitet. Dieses beinhaltet u.A. Spaziergänge, Sightseeing-Ausflüge, Stadtrundgänge, Museums- und Eventbesuche sowie weitere Halb- & Ganz-Tagesbeschäftigungen.
Ideen zu speziellen Sport-Aktivitäten wurden ebenfalls gesucht und gefunden. Der FC Thun bietet ca. 1x im Monat ein Fussball-Training für ausgewählte GS zusammen mit Ihren Profi-Spielern in der Stockhorn-Arena in Thun an. Ausserdem haben wir vom Gemeinschaftswerk Velostation Thun 6 Occasion-Fahrräder geschenkt bekommen.
Velo-Programm
Aufgrund meiner Ausbildung als Swiss Cycling MTB-Guide, habe ich von der BuZ-Leitung die Gelegenheit bekommen, ein internes Velo-Aktivitäten-Programm auf die Beine zu stellen.
Dieses Angebot sollte gemäss meinem Konzept folgende 3 Kern-Punkte beinhalten:
- + Integration → Verkehrsregeln Schweiz/EU näher bringen.
- + Mobilität → Velo = Das effizienteste und günstigste Fortbewegungsmittel der Welt.
- + Bewegung → Freude am Breitensport “Velo-Fahren” generieren.
3-Stufen Velo-Kurs
1. Velo-Parcours im BuZ
Wie gut können die Teilnehmer Velo Fahren? Wie solide ist ihre Fahrtechnik?
Als ich am ersten Kurs-Tag spontan 21 Afghanen und 4 Afrikaner für das neue Angebot begeistern konnte, galt es erst einmal heraus zu finden, wer wie gut Velo fahren kann. Gemäss eigener Einschätzung der Teilnehmer, waren allesamt Profi-Radfahrer 🙂
Dabei muss man bedenken, dass z.B. in Afghanistan das Velo-fahren zwar weit verbreitet ist, die “Velo-Kultur” jedoch etwas anders ausgelegt wird und Sie z.B. die Beachtung der Verkehrsregeln nicht so ernst nehmen. Dies haben mir die Teilnehmer eindrücklich bewiesen, indem zu Viert auf ein Velo geklettert sind und mir Ihre Zirkus-Nummern vorgeführt haben.
Um Fahrtechnische Aspekte wie sicheres Spurfahren, Anhalten und Abstehen, Lenken, Handzeichen (einhändiges Fahren) und Einspuren etc. zu prüfen, habe ich einen Veloparcour mit vorhandenen einfachen Mitteln auf dem Asphalt-Platz beim BuZ aufgebaut. Die Velo-Kurs Teilnehmer können wann immer sie Lust haben, den Parcour in der Freizeit aufbauen und Üben. 1x in der Woche nehme ich jeweils eine Prüfung ab, und schicke die besten 5 in den nächsten Kurs…
2. Verkehrsgarten Pestalozzi
Kennen die Teilnehmer die europäischen/schweizerischen Verkehrsregeln? Wie gut sind Sie in der Verkehrskunde?
Im Level zwei des Velo-Kurses, habe ich mit den GS, welche die erste Prüfung erfolgreich bestandnen haben, jeweils einen 1/2-Tages Ausflug in den frisch sanierten Verkehrsgarten beim Schulhaus Pestalozzi in Thun gemacht.
Der Verkehrsgarten ist eine moderne Verkehrserziehungsanlage mit Situationen aus dem Strassenverkehr (Trottoir, Fussgängerstreifen, Ampeln, Kreuzungen, Verkehrsschilder, Bodenmarkierungen etc.) und steht den Schülern des Schulhauses, sowie der Bevölkerung von Thun auf dem Gelände der Primarschula Pestalozzi zur Verfügung.
Die GS habenwährend der Verkehrskunde jeweils ausgesprochen interessiert zugehört und gewisse Erklärungen die ich auf Englisch gemacht habe in ihre jeweilige Landessprache (Farsi, Arabisch, Französisch) für ihre Kameraden übersetzt. Nach meinen Erklärungen der einzelnen Schilder, Markierungen und Verkehrs-Situationen durften sie ihre Velos satteln und die verschiedenen Strassenverkehrs-Situationen 1:1 in geschütztem Rahmen üben. Dabei war ich verblüfft, wie motiviert Sie an die Sache herangegangen sind. Egal ob Bluebird-Prachtswetter oder fiese Regenstimmung – im BuZ war die Neugier nach den Velokursen geweckt und in den folgenden Wochen haben sich immer wie mehr Teilnehmer für die Kurse angemeldet. Ausserdem war es besonders schön zu sehen, wie gross die Freude der GS, sowie auch der Bevölkerung (Familien & Kinder) während der Übungsstunden im Verkehrsgarten war. Die GS haben sich ausgesprochen korrekt und zuvorkommend verhalten. Falls mal ein Kind beim üben auf dem Velo umfiel, liessen unsere GS ihr Velo sofort stehen und rannten den “verunfallten” Kindern zu Hilfe, hoben die Ihre Velos auf und “sicherten” den nachfolgenden Velo-Verkehr. 🙂
3. Velo-Tour/-Ausflug
Wieviel Fahrtechnik- und Verkehrskunde-Wissen haben die Teilnehmer im Kurs aufgenommen? Können Sie sich sicher im öffentlichen Strassenverkehr bewegen?
Nach mehreren Nachmittagen im Verkehrsgarten, lud ich die “besten” Kursteilnehmer jeweils am Sonntag zu einem Velo-Ausflug in der Stadt Thun ein. Begleitet von einem 2. Betreuer der ORS AG, konnten wir so Velo-Ausflüge in die Innenstadt von Thun, sowie in die umliegenden Quartiere unternehmen. Dabei konnten die Kursteilnehmer ihr erlerntes Wissen im öffentlichen Strassenverkehr demonstrieren und festigen. Ihre Freude am Velofahren und ihre Bemühungen, sich an die Vekehrsregeln zu halten, standen dabei im Mittelpunkt. In Zukunft werden diese Asyl-Gesuchssteller auf europäischen Strassen selbstbestimmt, und sicher auf einem Velo unterwegs sein können…
Media
Danke
ORS Velo-Programm nur möglich dank Spenden & Unterstützung…
Ohne die Spende von Occasions-Velos und Helmen/Schutzausrüstung, sowie der Offenheit meiner Vorgesetzten für ein solches Integrations-Programm, wäre das ganze nie zustande gekommen. In dem Sinne, ein riesen grosses Dankeschön…
- Velostation Thun: Mänu & Team
- Ace-Factory Thun: Sam
- BuZ-Leitung: Kenana + Axel
- Meinen Co-Guides – Marianne, Luca, Salvatore, Lukas
Aus Gründen des Persönlichkeits-Schutzes und des unklaren Asyl-Status der Teilnehmer, haben wir die Namen der GS in diesem Beitrag nicht genannt.
Hey toller Beitrag und super Aktion mit dem Verkehrskundekurs! Viele Grüsse und viel Spass
Hallo! Danke für dein Feedback! Mittlerweile arbeite ich eng mit ProVelo Bern zusammen. Ich leite dort im Sommer jeweils die Défi-Velo Kurse an vielen verschiedenen (Oberstufen- und Berufs-) Schulen in der ganzen Schweiz. Weitere Infos zu diesen Kursen findet man auf http://www.defi-velo.ch
Liebe Grüsse Al‘